Computerkunst und ihre Geschichte
14. Mai 2013
Brigitte Grawe

Das Eindringen des Computers in die Bereiche der Kunst ist ein folgenschweres

Ereignis. […] Der Computer zwingt die Kunst gewissermaßen zu einem Sprung

von der Steinzeit in das Computerzeitalter.

Herbert W. Franke

Computerkunst ist wohl eine der bezeichnendsten zeitgenössischen Kunstformen des 21. Jahrhunderts. In einer Zeit, in der die Elektronik in den Mittelpunkt unseres Lebens gerückt ist, ändert sich zwangsläufig auch unsere Kultur. Betrachtet man dazu einmal die Definition des britischen Kulturanthropologen und Universalgelehrten Edward B. Tylor aus dem Jahre 1871 für den Begriff ‚Kultur‘, kann man davon ausgehen, dass er diese Aussage wohl unterstützen würde:

Zitat: “Kultur ist jenes komplexe Ganze, das Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Brauch und alle anderen Fähigkeiten und Gewohnheiten umfasst, die sich der Mensch als Mitglied der Gesellschaft erworben hat. Als Gesellschaft haben wir Computertechnik inklusive daraus resultierender Nutzen – in welche Richtung auch immer – erworben, und damit auch eine dadurch geprägte Gesellschaft, bzw. Kultur entstehen lassen.”

Was anfangs eher im Verborgenen seine Entwicklung begann hielt einen unaufhaltsamen Einzug in unsere Berufswelt. Entgegen anfänglicher Skepsis lernten wir schnell die daraus resultierenden Vorteile zu schätzen – nicht nur aufgrund der privaten Nutzung.

Inzwischen ist diese Technik nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Betrachtet man die rasant zunehmende Zahl der Internetnutzer, spricht dies wohl für sich. Eine neue Welt ist entstanden – ob leider oder glücklicherweise sei dahingestellt. Unser Alltag hat sich dadurch so verändert, dass wir vom Computerzeitalter sprechen.

Wo arbeiten und leben ohne Computer inzwischen undenkbar geworden sind, findet er wie selbstverständlich, beinahe zwangsläufig, auch seine zunehmende Bedeutung in der Kunst. Dort eröffnet er uns ganz neue, spannende und entdeckenswerte künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten.

Kunst und Computer sind kein Widerspruch!

Warum auch sollte diese Errungenschaft einzig keinen Einzug in die Welt der Kunst halten? Schließlich wäre es schon beinahe wider die Natur eines Künstlers, ein solches Medium dauerhaft zu ignorieren.

Ist es doch genau das, was den leidenschaftlich Kreativen antreibt; die Suche nach immer neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Es gibt wohl inzwischen kein Medium, keine Technologie und kein Material mehr, das nicht künstlerisch aufgegriffen wird.  Künstler spiegeln die jeweilige Welt, bzw. Kultur in ihren Arbeiten wieder. So wird Kunst in jeglicher Hinsicht zum Zeitzeugen.

Die Entdeckung des Computers als Werkzeug zur Erschaffung von Kunst

machte man nicht erst heute. Die Anfänge der digitalen Kunstform liegen

bereits in den 1950er Jahren.

Mit Entwicklung der Plotter begann sie ihren Weg. Zum ersten Mal wurden 1965 in Max Benses* Seminar (an der damaligen Technischen Hochschule Stuttgart) computergenerierte Grafiken von Georg Nees* als Kunst anerkannt. In der Folge stellte dieser gemeinsam mit Frieder Nake* in Wendelin Niedlichs Stuttgarter Bücherdienst aus. Ebenfalls 1965 fand in New York mit Michael Nolls* Arbeiten in der Howard Wise Gallery die erste weltweit präsentierte Ausstellung computergenerierter Kunst statt.

In dieser Zeit beschäftigten sich auch die ersten ausgebildeten Künstler wie Manuel Barbadillo, Harold Cohen, Karl Gerstner, Manfred Mohr, Vera Molnar und Edvard Zajec mit dem Computer. Neben Otto Beckmann, Klaus Basset, Miroslav Klivar und Chihaya Shimomura erbrachte vor allem Charles A. Csuri auf dem Gebiet der computergenerierten, figurativen Darstellung Pionierleistungen. Seine sine curve gehört zu den ersten Arbeiten dieser ‚Art‘. Dem japanischen Künstler Hiroshi Kawano werden erste Computerarbeiten aus dem Jahre 1958 angerechnet.

Ein weiterer ‚Pionier‘ der Szene ist Herbert W. Franke*. Er hat die Computerkunst nicht nur als beteiligter Künstler von den Anfängen bis heute aktiv mitgestaltet. Darüber hinaus hatte er einen Lehrauftrag für kybernetische Ästhetik und Computerkunst an der Universität München (1973–1998) Später lehrte er auch Computergrafik an der Akademie der Bildenden Künste in München (1984–1998).

1968 fand die bis heute wohl berühmteste, erste große internationale Ausstellung digitaler Kunst statt. Die englische Kuratorin Jasia Reichardt organisierte auf Anregung Max Benses für das Londoner Institute for Contemporary Art (ICA) die ‘Cybernetic Serendipity*. Mit 325 ausstellenden Künstlern und 60.000 Besuchern war sie äußerst erfolgreich, wurde aber auch sehr kontrovers diskutiert. Ein Jahr später ging sie auf Wanderausstellung in den USA.

«Cybernetic Serendipity», 1968
Exhibition view | Courtesy: Internationales Performance Festival, Vienna
Quelle: http://www.medienkunstnetz.de

Nach dem Einzug des Mediums Computer in die

Kunst entstand zunächst ein regelrechter Hype.

Es fanden zahlreiche Kongresse und Ausstellungen weltweit statt. Aufgrund des großen Interesses versuchten sich auch viele Wissenschaftler an der Computerkunst, wurden jedoch recht zügig von der Wirtschaft wieder  ‘abgeworben’. In der Folge verschwand die neue Kunstform aus dem Blick der Öffentlichkeit, das Interesse war nur noch gering.

Nur wenige Künstler wie z.b. Frieder Nake, Werner Nees und Michael Noll, Herbert W. Franke, Vera Molnar und Zdenek Sykora machten weiter. Teilweise programmierten sie selber, teilweise arbeiteten sie mit Programmierern zusammen. Selbst der Künstler Viktor Vasarely soll  mit Computerprogrammen gearbeitet haben.

Doch nicht nur der Schwund beteiligter Computerkünstler war Ursache für den fehlenden endgültigen und dauerhaften Durchbruch digitaler Kunst. Bei zu vielen Menschen war Computerkunst lange Zeit verpönt, wurde beinahe schon als Frevel an der Kunst angesehen. Die künstlerische Handarbeit war gefragt, galt sie schließlich in nicht unerheblichem Maße bis dahin als Merkmal ‘hoher Kunst’.

Ein künstliches ‚Erzeugnis‘ dagegen war für

die Meisten schwer einzuordnen.

Vielleicht boten die frühen Bilder der Computerkunst aber auch noch nicht die für diese Zeit notwendige Überzeugungskraft. Sie entsprachen definitiv nicht den damals gängigen Bildvorstellungen der breiten Öffentlichkeit.

Mittlerweile ist ein Computerkünstler in der Lage, dank moderner Hard- und Software ein Bild zu erstellen, dass von einem gemalten kaum zu unterscheiden ist. Der Facettenreichtum digital erstellter Kunst ist durchaus gleichwertig mit gemalter. Der Einsatz elektronischer Technik ist für Computerkünstler ein ebenso normales Werkzeug wie beispielsweise Pinsel, Schwamm, Spachtel und Farbe für den Maler, die (Digital-)Kamera für den Fotografen, oder Hammer und Meißel für den Bildhauer.

In den achtziger Jahren entdeckten bildende Künstler die

Möglichkeiten der eigentlich für Grafiker erstellten Software,

bzw. Bildbearbeitungsprogramme, für die Kunst.

Die Software heutiger Zeit lässt kaum noch Wünsche offen. Eine wichtige Voraussetzung sollte allerdings gegeben sein; Freude und Fähigkeit mit diesen zum Teil sehr komplexen Programmen umgehen zu können und wollen. Aber dies kann man wohl selbstredend bei MedienkünstlerInnen annehmen. Dem Anwender bietet sich inzwischen ein immer breiteres Spektrum. Das steigert die Gestaltungsvielfalt erheblich und lässt ‚compusitionen‘ entstehen, in denen der Betrachter sich genauso findet wie in einem gemalten Werk.

So hat der Computer auch in der bildenden Kunst ein neues Zeitalter

eingeläutet – unbemerkt – bereits vor rund 50 Jahren.

Doch erst heute, im 21. Jahrhundert, bzw. 3. Jahrtausend sind wir endlich offener, neugieriger und auch bereit für diese scheinbar so andere ‘Art’ künstlerischer Arbeitsweise. Heute ist sie eine vollkommen akzeptierte Kunstform, die sich großer Beliebtheit erfreut.

Wie der bildenden Computerkunst erging es übrigens auch der modernen, elektronischen Musik. Bis zum Durchbruch brauchte es einiges an Überzeugungskraft. Besonders bei klassischen Musikern und fachkundigen Musikliebhabern stieß man in den Anfängen auf große Ablehnung. Heute weiß man, dass dies der Beginn eines neuen Musikzeitalters war! Techno ist wohl das treffendste Beispiel dafür!

Unverzichtbar für Computerkunst ist aber auch der Standard heutiger Drucktechniken. Auf ‚fine-art-printing‘ spezialisierte Druckereien ermöglichen dem Künstler erst, die digitalen Kunstwerke in ein haptisches Bild zu verwandeln. Nur so kann es schließlich seine volle Ausdruckskraft entfalten und den Weg zum Betrachter finden.

EPILOG: Konrad Zuse*, der Erfinder des Computers, war übrigens ebenfalls Künstler. Er lehnte den Einsatz des Computers als künstlerisches Handwerk jedoch ab. Eine entsprechend technische Entwicklung schloss er nicht aus. Dennoch konnte er sich nicht vorstellen, dass es jemals Künstler geben könnte, die ihre Tätigkeit von Rechenmaschinen ausführen lassen würden.

 

Der Begriff ‘Compusitionen’ ist meine eigene Wortschöpfung

und setzt sich aus den Wörtern Computer und Kompositionen zusammen. 

  • *Max Bense: (1910-1990) deutscher Philosoph, Mathematiker, Physiker und  Schriftsteller
  • *Herbert W. Franke, Dr.: *1927 in Wien, studierte Physik, Mathematik, Chemie, Psychologie und Philosophie. promovierte an der Universität Wien zum Doktor der Philosophie. Lehrauftrag für kybernetische Ästhetik und Computerkunst an der Universität München (1973–1998) und später für Computergrafik an der Akademie der Bildenden Künste München (1984–1998).
  • *Frieder Nake, Prof., Dr. rer. nat.:  (* 16. 12.1938 in Stuttgart). Deutscher Mathematiker und Informatiker
  • *Georg Nees, *1926 in Nürnberg. Dt. Physiker, Diplom-Mathematiker; seit 1964 Computer-Grafiken, -Plastiken und -Filme; promovierte in Philosophie, speziell Ästhetik »Generative Computergraphik« bei Max Bense; 1977 Honorarprofessor für Angewandte Informatik an der Universität  Erlangen.
  • *Michael Noll, Prof. emeritus at the Annenberg School for Communication at the University of Southern California.
  • *Konrad Zuse, 1910-1995, deutscher Bauingenieur, Erfinder und Unternehmer
  • *’Cybernetic Serendipity

LITERATUR- & LINKLISTE

  • Das sogenannte Schöne: Max Bense, Informationsästhetik und naturwissenschaftliche Erklärung der Kunst. – Von Herbert W. Franke. – heise online. – 09.04.1998
  • Tim Ackermann:Virtuelles Happening : Das Web 2.0 hat die Menschen ans Mitmachen gewöhnt. Die Chancen für ein Revival der Computerkunst sind in diesem Jahrzehnt so gut wie selten zuvor.  – welt.online.de, 7. Februar 2010, 04:00 Uhr
  • Julia Brodauf: Digitale Kunst: Kunst schaffen u. Kunst sammeln im Computerzeitalter. –  Junge Kunst, 78.200?, S. 19-21
  • Hubertus Kohle, Katja Kwastek: Computer, Kunst und Kunstgeschichte. – Deubner: 2003. – ISBN-13: 978-3937111018
  • Klütsch, Christoph: Computergrafik: Ästhetische Experimente zwischen zwei Kulturen. Die Anfänge der Computerkunst in den 1960er Jahren. – Springer, 2007. –  ISBN: 978-3-211-39409-0
  • Lehmann, Annette Jael: Kunst und Neue Medien: Ästhetische Paradigmen seit den sechziger Jahren. – Stuttgart: UTB, 2008. –  ISBN: 978-3825225889

Herbert W. Franke / Monografien:

  • Phänomen Kunst : die kybernetischen Grundlagen der Ästhetik. –  Köln: DuMont, 1974. (DuMont-Kunst-Taschenbücher ; 10). –  ISBN 3-7701-0725-X
  • Computergraphik – Computerkunst. – München: Bruckmann,  1971. –   ISBN 3-7654-1412-3
  • Kunst kontra Technik?  Wechselwirkungen zwischen Kunst, Naturwiss. u. Technik.  –  Frankfurt: Fischer, 1978. – [2. Aufl. ersch. bei Suhrkamp, Frankfurt am Main u.d.T.:  ‘Franke, Herbert W.: Leonardo 2000’ ]     ISBN 3-596-21991-4
  • Wege zur Computerkunst. – Wien : Ed. die Donau hinunter, 1995. – (Kommentierte Neudrucke von Texten des zwanzigsten Jahrhunderts ; Bd. 2). – ISBN 3-901233-09-1
  • Ästhetische Information : eine Einführung in die kybernetische Ästhetik = Estetika informacio / von Helmar G. Frank und Herbert W. Franke. – Berlin [u.a.] : Akad. Libroservo, 1997. – Text dt. und esperanto. – ISBN: 9783929061819