Keine Zeit für Kunst
27. Juni 2014
Brigitte Grawe

Herrjeh, seit Wochen komme ich nicht mehr dazu, mich künstlerisch zu betätigen. Einerseits ist das gut, andererseits aber auch nicht …

Gut ist daran der Grund für die ungewollte Abstinenz; mein anstehender Umzug. Wie bereits im vorangehenden Beitrag zu lesen ist, bringt der Wechsel des Wohnortes traumhafte Veränderungen in mein Leben. Andererseits darbt meine Künstlerinnenseele; der kreative Output fehlt.

KünstlerIn zu sein ist kein Beruf

den man acht Stunden am Tag ausübt.

KünstlerIn ist man rund um die Uhr. Was immer ich tue, die Kunst ist dabei. Egal ob beim Einkaufen, Treffen mit Familie oder Freunden, Spazierengehen, Lesen, Busfahren, in der Badewanne oder beim Verrichten der Hausarbeiten – Kreativität findet in Allem und zu jeder Zeit ihre Inspiration. Das lässt sich nicht nach Belieben abstellen.

Genau darin liegt zurzeit das Problem. Ich muss all das zurückstellen, neue Ideen allenfalls schriftlich festhalten – für die Zeit nach dem Umzug. Auch Anfragen müssen später beantwortet werden, in der Hoffnung, dass dadurch keine Angebote verloren gehen. Die Vorbereitungen auf den anstehenden Wohnortwechsel erfordern Zeit und Energie. Wir haben noch so viel zu tun.

Doch während sich die Umzugskartons füllen und stapeln, findet die Kreativität auf raffinierte Art und Weise doch einen Weg sich zu zeigen. Schließlich lassen sich Möbel umgestalten, oder nicht? Die schwedischen Küchenschränke aus massivem Kiefernholz standen schon länger auf der Warteliste.

Nach 20 Jahren mag ich die bisherige Optik einfach nicht mehr. Was läge da näher, als einfach eine neue Küche zu kaufen? Doch an dieser Stelle drängelte sich meine künstlerische Ader in den Vordergrund.

“Geh und kaufe Farbe”, flüsterte sie mir unablässig zu.

“Wolltest Du nicht schon immer eine türkise Küche haben?”

Die innere Stimme ließ nicht locker. Tja, und was soll ich sagen? Ich kaufte Pinsel und türkise Farbe! Dank der Angebote heutiger Baumärkte, dehnte ich das Ganze noch etwas aus. Ich ließ mir Holzlack und Wandfarbe im selben Ton mischen. Nicht nur die Schränke bekommen ein frisches Türkis verpasst, auch eine Wand muss herhalten.

Seit Tagen bin ich nun damit beschäftigt, die Schränke anzuschleifen und neu zu lackieren. Es tut einfach gut, den Pinsel, bzw. die Lackrolle zu schwingen. Die kreative Umgestaltung der Schränke ist ein voller Erfolg und stillt etwas die Sehnsucht nach künstlerischer Betätigung; ein Trostpflaster sozusagen. Doch leider ist es damit nicht getan.

Hilfe, ich bin lackiersüchtig!

Die Schränke sind längst fertig, doch ich habe ‘Blut geleckt’. Oder sollte ich besser sagen, ‘Lack gerochen’? Statt mich wieder den normalen Umzugsvorbereitungen zuzuwenden, schweift mein Blick unablässig über das vorhandene Mobiliar. Lässt sich nicht noch ein Stück darunter finden, das eine Umgestaltung vertragen könnte?

Doch so sehr ich es mir auch wünschte,  da ist nichts mehr. Also halte ich anderweitig Ausschau und erwische mich beim Durchstöbern von Kleinanzeigen. Irgendwo muss doch ein streichfähiges Möbelstück zu finden sein! Farben und Pinsel lassen mir einfach keine Ruhe.

Einladen sollte mich zurzeit wohl besser niemand. Ich könnte für nichts garantieren. Schließlich ließen sich bei solchen Gelegenheiten heimlich Lack und Pinsel einschleusen, um in unbemerkten Augenblicken über streichfähiges Mobiliar herzufallen. Da könnte ein Toilettenbesuch beispielsweise auffällig länger dauern als normal.

Nachts träume ich von Farbfächern und riesigen Schrankwänden.

Doch so hart es auch ist, ich habe Einsicht. Ob es Selbhsthilfegruppen anonymer Streichsüchtiger gibt? Mein Gott, ich sollte meine Familie bitten, mir Pinsel, Lackrolle und Farbtöpfe abzunehmen. Auch eine zumindest vorläufige Sperre für Baumärkte wäre eventuell hilfreich. Seufz, das Leben als Süchtige ist schwer.

Ob ich eine Therapie benötige? Doch nein, ich bin willensstark und werde der Sucht entschlossen begegnen. Nichts mehr mit Lackieren, Schluss, Aus! Es sei denn … Ja, es sei denn – jemand unter meiner Leserschaft hat ein Schränkchen für mich … 🙂

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